Von Germania nach Deutschland

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Von Germania nach Deutschland

„Zwei kleine Italiener – am Bahnhof da kennt man sie.
Sie kommen jeden Abend zum D-Zug nach Napoli.
Zwei kleine Italiener, die schau'n hinter drein;
eine Reise in den Süden ist für andre schick und fein,
doch die beiden Italiener möchten gern zu Hause sein.“

Das Lied, mit dem Conny Froboess 1962 beim deutschen Schlagerwettbewerb gewann, bringt die Sache auf den Punkt: Es geht (im Text von Georg Buschor) um Einsamkeit, Heimweh, fehlende Kontakte.

Anwerbung
Es begann 1955. Fünfzig Mark zahlten die deutschen Unternehmer für einen italienischen Gastarbeiter. Das war – zehn Jahre nach Kriegsende – der Beginn der Gastarbeiter-Ära. Die Bundesrepublik Deutschland war mitten im Aufschwung, aber es mangelte an Arbeitskräften, vor allem im boomenden Baugewerbe, in der Auto- und Schwerindustrie. Anwerbung im Ausland schien die beste Lösung zu sein, für beide Seiten. Also schlossen die Bundesrepublik und Italien im Dezember 1955 den ersten Anwerbevertrag für Arbeitskräfte ab. Niemand dachte damals daran, dass aus einem relativ kurzen, befristeten Aufenthalt eine Immigration auf Dauer werden könnte.

Kulturschock
Die Gastarbeiter, überwiegend aus dem strukturschwachen und armen Süden Italiens, dem „Mezzogiorno“, kamen in eine fremde Welt. Aus ländlichen Regionen und bäuerlicher Arbeit sahen sie sich zumeist in Großstädte und Fabriken verpflanzt, in einem Land, das Arbeitskräfte erwartete, aber keine Menschen mit Wünschen, Träumen, Emotionen. Die Entfremdung war mehrfach: eine Sprache, die man nicht sprach, eine ganz andere Mentalität, andere Wertvorstellungen. In der Anonymität der Großstädte blieb für die meisten lange Jahre nur der Gang zum Bahnhof, wo man wenigstens für kurze Zeit mit seinesgleichen Kontakt hatte. Oder man hörte in der Baracke italienische Radiosendungen deutscher Rundfunkstationen. Man träumte von der Rückkehr, verschob sie aber immer weiter in die Zukunft, weil sich die wirtschaftliche Situation in der Heimat nicht verbesserte.

Integrationsprobleme
So blieben viele länger, als sie zunächst vorhatten. Nach mehreren Jahren begannen sie Frauen und Kinder nachzuholen. Darauf war die deutsche Gesellschaft nicht vorbereitet. Man ließ die Dinge einfach laufen. An Einwanderung und ihre Konsequenzen wurde noch nicht einmal gedacht. Deshalb gab es in den ersten zwanzig Jahren der Zuwanderung weder Sprach- noch Ausbildungsförderung. Die überwiegend mit einfachen Arbeiten beschäftigten Männer und Frauen konnten ihre soziale Situation nicht verbessern. Auch für die Kinder wurde in dieser Zeit kaum etwas getan. Mangelnde Schulbildung führte dazu, dass diese Generation nur selten über die Hilfsarbeiterfunktion hinauskam. So konnte die Integration nicht gelingen. Vor allem die Jugendlichen standen im Niemandsland, zwischen den Kulturen, ohne dass sie überhaupt die Möglichkeit hatten, sich zu entscheiden.

„Ritorno a casa“
Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre hatten viele italienische Gastarbeiter die Wohnbaracken gegen Mietwohnungen eingetauscht. Jetzt, als sich die Situation für sie langsam zu bessern begann, setzte in Deutschland eine Rezession (1967) ein. Mit dem plötzlichen Ende des Wirtschaftswunders ging die Nachfrage nach Arbeitskräften deutlich zurück, die Arbeitslosigkeit stieg, verstärkt durch die internationale Ölkrise (1973), an. Viele Italiener, die schon jahrelang in Deutschland lebten, wurden arbeitslos. Die deutsche Regierung drängte auf die Heimkehr der nun überflüssig gewordenen Arbeitskräfte und zahlte Prämien für Rückkehrwillige. Einige folgten den Appellen. Aber im Mezzogiorno war es immer noch schwierig, Arbeit zu finden und wieder Fuß zu fassen. Enttäuscht kehrten die meisten erneut nach Deutschland zurück. Die Mitgliedschaft Italiens in der EWG (heute EU) ermöglichte ein problemloses Hin- und Herreisen. Irgendwann fiel dann die Entscheidung, auf Dauer in Deutschland zu bleiben. Manche versuchten sich nun als Selbstständige und gründeten Pizzerias oder Eiscafés, die heute aus deutschen Stadtbildern nicht mehr wegzudenken sind.

Die dritte Generation
Was der Großeltern- und Elterngeneration der italienischen Migranten versagt blieb, gelang der dritten Generation, den hier Geborenen. Für sie begannen Assimilations- und Integrationsprozesse wirksam zu werden. Die Tatsache, dass die Italiener als Erste gekommen waren, verschaffte ihnen einen zeitlichen Vorsprung gegenüber Immigranten aus anderen Nationen. Langsam verstand man in der deutschen Gesellschaft, dass aus den Gastarbeitern ganz normale Arbeitnehmer geworden waren, die hier lebten.
Hans Andreas Guttner